Ethik ohne Religion?

aus: E. R. Sandvoss, Space Philosophy, Kap.10, S 110ff.


...Weltverzichtsreligionen! Ethik mit solchen Religionen funktioniert offensichtlich nicht. Funktioniert sie ohne Religion?

Damit kommen wir zu Henkels Konzept: Markt, Menschenrechte und Demokratie. Man müsste einmal ausprobieren, wie weit man damit kommt. Jedenfalls kein Raubtierkapitalismus, Dschungelrecht, des Stärkeren, aber auch kein Pampern und keine Gleichmacherei! Chancengleichheit? Die gibt es weder in der Natur noch in der Geschichte. Man müsste die Welt und den Menschen neu erschaffen oder alles Bestehende ummodeln, was nicht geht und kontraproduktiv wäre. Auf Motivation, Information, Entscheidungsfreude, Aktivität und Kondition kommt es an, dazu sowohl auf sinnvollen Freiheitsgebrauch als auch auf Verhütung von Freiheitsmissbrauch, also auf Bildung, Erziehung und Aufklärung. Freiwilligkeit bewirkt mehr als Zwang, Vorbild mehr als Gebot, Warnung mehr als Verbot und Übung mehr als Regeln.

Menschenrechte allein sind zu wenig. Sie dürfen weder nur gepredigt, noch mit zweierlei Maß bemessen, weder als Mittel benutzt noch als Waffen gebraucht werden, sind stets zu verbessern und zu ergänzen sowie durch eine evolutionsgerechte Ethik zu fördern. Wenn wir verhindern wollen, dass die Demokratie in eine Basarokratie, Dilettantokratie, Oligarchie oder (und) Ochlokratie abgleitet, müssen wir das Wertebewusstsein schärfen, Konsumismus und Korruption bekämpfen, nicht nur nach dem Lebensstandard schielen, sondern auch auf die Lebensqualität achten.

Auf Habgier und Leid lassen sich weder eine stabile Gesellschaftsordnung gründen noch ein Rechtsstaat errichten. Befehl und Gehorsam, Gebote und Verbote, Herrschen und Dienen, Autorität und Subalternität sind weniger gefragt als Initiative und Phantasie, Mut und Zuversicht, Souveränität und Kreativität sowie Loyalität und Integrität. Kooperation zählt mehr als Konfrontation, Kommunikation mehr als Isolation, Selbstdisziplin mehr als äußere Disziplin, Authentizität mehr als Nachahmung, Legitimität mehr als Legalität, Evolution mehr als Revolution, Kenner und Könner zählen mehr als Redner und Prediger sowie Taten mehr als Worte.

Mit solchen Prioritäten lässt sich nicht nur leben und überleben, sondern das Leben auch optimieren, perfektionieren, effektiver gestalten. Homo ethicus wird erst als Lebenskünstler das, was er sein kann.